Müssen Manager gebildet sein? – Gedankenanstöße (German edition)
By Peter Paschek

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„The corporation is not only an economic tool , but as a social institution it is also a political tool“.
Peter F. Drucker

„Ich wüßte nicht, wessen Geist ausgebreiteter wäre, ausgebreiteter sein müßte, als der Geist eines echten Kaufmanns“.
Johann W. Goethe

An die Frage – Müssen Manager gebildet sein? – schließt sich logischerweise die Frage an – Wenn ja, wie?

Um es vorweg zu nehmen: ich vertrete nicht die Auffassung, daß Manager ungebildet sind. In meiner bisher mehr als 40 Jahre währenden Beratertätigkeit bin ich sicherlich einer Reihe von Managern begegnet, die umfassend gebildet waren, im Sinne einer klassischen humanistischen Bildung. Diese wurde aber nicht als Teil zur Reflexion der beruflichen Aufgaben verstanden, sondern diente vorwiegend der eigenen Muße, war also mehr Ornament.

Das Problem aber, das die große Mehrheit der Manager betrifft ist nicht Unbildung, sondern einseitige Bildung, d.h. eine Bildung, ausschließlich für einen, wenn auch zentralen Bereich der beruflichen Tätigkeit. Nun ließe sich mit Peter Drucker entgegnen, die oberste gesellschaftliche Verantwortung des Wirtschaftsmanagers sei der dauerhafte wirtschaftliche Erfolg.

Ein weiteres Argument gegen die Problematisierung zu einseitiger Managementbildung liefert auf den ersten Blick eine andere Aussage von Peter Drucker nämlich, daß man in der beruflichen Praxis in einer Wissensgesellschaft nur das als Wissen bezeichnen kann, das Anwendung findet, was also von Nutzen ist. Dies bedeutet die Managementbildung, also die Aus- und Weiterbildung muß dem Manager Wissen vermitteln, das er für seine beruflichen Aufgaben nutzen kann.

A Day of Drucker 2021

Aber was sind die beruflichen Aufgaben, die beruflichen Herausforderungen, denen sich der Wirtschaftsmanager in unserer Wissensgesellschaft zu stellen hat. Auch hierzu liefert Peter Drucker eine eindeutige Antwort: „The demand has arisen that Managers and especially business managers make concern central to the conduct of business itself … and this means that the manager of any institution (particularly of business) has to think through what the policy should be in the general interest and to provide social cohesion … This demand requires new thinking and new action on the part of the Manager. It can not be handled in a tradional manner. It cannot be handled by public relations“. (1973).

Eine ähnlich klare Ansage liefert 1954! Gustav Stein vom Bundesverband der Deutschen Industrie in seinem Beitrag für die Wochenzeitung – Die ZEIT: „Glaubt heute wirklich jemand, daß es noch mit einer guten Bilanz und einer rationellen Produktion getan ist, oder es sei gleichgültig, ob die Fabriken einem Tyrannen oder der persönlichen Freiheit dienen? Somit geht es entscheidend um das Vorbild, um das Vorangehen in die Politik. Eine schwierige Aufgabe gewiss, aber eine unvermeidliche, wenn überhaupt das Zusammenleben freier Menschen erstrebt wird“.

Im Rahmen einer repräsentativen Studie befragte das Institut für Demokratieforschung der Universität Göttingen zwischen September 2013 und August 2014 in circa 250 Gesprächsstunden 160 weibliche und männliche Topmanager in Deutschland zu ihrem Politik- und Gesellschaftsbild und ihren Wertvorstellungen. In einem Buch mit dem Titel – Sprachlose Elite? – haben die Verantwortlichen der Studie, deren Ergebnisse umfassend dargelegt.

Die für den in den vorliegenden Beitrag wesentlichen Aussagen der Erhebung, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Der überwiegende Teil der Befragten sieht sich überhaupt nicht in den politischen Prozess involviert. Man überlässt es den Verbänden oder (sofern vorhanden) den PR-Abteilungen, im Sinne der Unternehmensbedürfnisse ggf. Einfluss auf Gesetzgebungsverfahren zu nehmen.

2. Der überwiegende Teil der Befragten äußerte ein großes Unverständnis darüber, daß Politiker nicht einfach „effizienter“ arbeiten und durchregierten. Der politische Alltag mit den Praktiken des Aushandelns und Kompromisse Schließens und der Berücksichtigung von Vielfalt fand so gut wie keine Anerkennung.

3. Der überwiegende Teil der Befragten sieht die Aufgabe in der Schaffung von Rahmenbedingungen, d.h. die Politik wird verstanden als eine Art Dienstleister für eine funktionierende Wirtschaft.

Beim Lesen dieser Studie fiel mir ein Buch von Peter Drucker ein, das er schreiben wollte, aber zu seinem größten Bedauern nie geschrieben hat. Der Titel – How to organize ignorance!

Die Folge dieses Nicht-Verhältnisses zur Politik ist eine defensive bzw. keine Teilnahme an der Gestaltung des politischen Diskurses der Zivilgesellschaft, so auch, wenn es dabei um die eigene gesellschaftliche Leistung geht.

Im April diesen Jahres erschien in der Neuen Züricher Zeitung ein Beitrag unter den Titel: Unternehmen hört die Signale! – Darin heißt es: „Die Corona Krise hat vielen Wissenschaftlern eine Bühne geboten, um zu zeigen wie nützlich ihre Zunft ist. Ihre Notwendigkeit haben zwar genauso die Unternehmen unter Beweis gestellt, die in dieser Zeit die Versorgung sicherstellten, Vakzine entwickelten und produzierten oder die Betriebe mit Krediten versorgten. Doch eine vergleichbare Wertschätzung wie den Wissenschaftlern wurde den Firmen nicht zuteil.“

Zum Abschluss fordert der Verfasser zu Recht die Unternehmen, dazu auf ihre Leistungen für die Gesellschaft offensiv in eine Öffentlichkeit zu tragen, „die die Unternehmen oft nur noch im Zusammenhang mit Skandalen wahrnimmt“. Es reiche längst nicht mehr, „sich nur dann ins Zeug zu legen, wenn gerade eine umstrittene Abstimmung ansteht“.

Indem die Wirtschaftsmanager die Debatten in den Öffentlichkeiten ‚links‘ liegen lassen, geben sie dieses Feld frei für jene gesellschaftliche Gruppen, die nicht aufhören, mit dem Bild des bösen, gewinnmaximierenden Kapitalisten, offen oder camoufliert ihre Illusionskonzepte von der Gemeinschaft der Gleichen zu begründen. 

Der Philosoph und Ökonom Karl Homann hat in diesem Zusammenhang die gesellschaftliche Verantwortung des Managers im Sinne von Peter Drucker konkretisiert. Neben Handlungs- und Ordnungsverantwortung nennt Homann die Diskursverantwortung, als die Verantwortung des Managers gestaltend in die öffentlichen Diskussionen einzugreifen. Es gilt über positive und normative Zusammenhänge der modernen Welt aufzuklären und moralische Blockaden aufzubrechen sowie darum, optimistische oder pessimistische Geschichtskonstruktionen, die unser Denken beeinflussen ad absurdum zu führen,

Um der Diskursverantwortung gerecht zu werden, so Homann weiter, müssen die Wirtschaftsmanager, die hierzu notwendigen Kompetenzen erwerben. Damit rückt das Thema Bildung in den Fokus.

1955 warnte der Philosoph und Soziologe Helmuth Plessner „Der ungebildete Könner, der Funktionär seines Fachs, der reine Spezialist schiebt sich in den Vordergrund, das legitime Produkt einer zur Fachschule werdenden Universität“. 

Beinahe ein halbes Jahrhundert früher, sagt Max Weber ähnliches Unheil voraus und schrieb mit der von ihm gewohnten Schärfe: „Niemand weiß noch, wer künftig in jenem Gehäuse wohnen wird … eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale … oder aber mechanisierte Versteinerung, mit einer Art von krampfhaften Sich-wichtig-nehmen verbrämt. Dann allerdings könnte für die ‚letzten‘ Menschen das Wort zur Wahrheit werden:

Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz; dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben“.

Gut hundert Jahre nach Max Webers düsterer Vorahnung zieht der österreichische Philosoph Konrad Liessmann eine Bilanz zur Realität in der Wissensgesellschaft. Sein Fazit bestätigt Weber und Plessner.

Eklatante Bildungslücken bei einfachsten historischen und kulturgeschichtlichen Fragen kennzeichnen – so Liessmann die Unbildung der Eliten in der modernen Gesellschaft. Zeitgleich, so fährt er fort, lassen sich die Universitäten als Bildungsinstitutionen, „die letzten Ladenhüter der Leadership Industrie als den neuesten Schrei verkaufen … daß von der Wissenschaft nicht mehr geblieben ist als deren mitunter bis zur Karikatur aufgeblasenen Gestik“.

Das was Liessmann aufzeigt, entspricht sicherlich Tendenzen in der gesellschaftlichen Realität unserer Zeit. Dass er dabei überpointiert, um bestimmte problematische Entwicklungen auf den Punkt zu bringen, ist sein gutes Recht.

Was aber bei Liessmann, wie bei vielen seiner Kollegen fehlt, ist das richtungsweisende Umreißen praktischer Lösungsvorschläge. Er bleibt zwar längst nicht so nebulös wie Peter Sloterdijk, der Meister des

 „Gelehrtengeschwätz“ (Max Weber), doch seine Aufforderung zu einer neuen Aufklärung liefert wenig Konkretes und ruft die These wach, daß die Probleme in der Philosophie zwar stets gestellt werden, gelöst aber werden sie von ihr eigentlich nie.

Eine der Ausnahmen ist das Werk von Peter Drucker. Bestimmt vom Ethos der engagierten Distanz, sieht es Drucker als seine Verantwortung als Intellektueller richtungsweisend auf das Gesagte und das Handeln in der Gesellschaft einzuwirken. Diese Verantwortung zur verantwortlichen Meinungsbildung – so Drucker – tragen alle Vertreter von gesellschaftlichen Gruppen, die Macht oder Einfluss auf die Strukturen einer Gesellschaft und die diese tragenden Normen haben.

Bei einem Vortrag 1987 bezeichnet Drucker Management als „Workmanship“, das heißt als handwerkliches Können. 

Management, so Drucker weiter, ist aber nicht nur auf handwerkliche Kunst beschränkt, da es nicht nur mit Dingen zu tun hat, sondern vor allem mit Menschen. Daher, so folgert Drucker, ist Management sowohl „empirical skills and indeed a bunch of tricks and rules over the thumb“ aber auch „in itself a liberal art.“ Das heißt für Drucker, daß die Geisteswissenschaften oder Humanities ein unerlässlicher Unterbau für die Managementbildung sind. Vor allem sind dies die Humanities, die den Menschen in seiner Eigenschaft als Mitmensch untersuchen, also insbesondere die praktische Philosophie, die Soziologie, die Geschichte der Kulturen, die philosophische Anthropologie.

Warum? – Ich komme zurück auf die Definition von Karl Homann über die Diskursverantwortung als eine gesellschaftliche Verantwortung der Manager, „as leaders and integrators in pluralist society in addition to managing their company‘s performance“ (Drucker) einen offenen und offensiven Dialog mit der Zivilgesellschaft zu führen.

Was bedeutet dies für die Managementbildung?

Peter Drucker forderte im besagten Vortrag von 1987 die Integration der Humanities in die Managementbildung. Der britische Sozialhistoriker John Hendry hat dies wie folgt zusammengefaßt auf den Punkt gebracht „Managers probably need financial and accounting, marketing and strategic skills more today than they ever have done. But they also need something else. They need grounding in the messy realities of the human condition, an understanding of politics and culture, and an awareness of the historical forces that have shaped the world in which we live“.

Noch 2006 schrieb Karl Homann, daß die Manager auf die Übernahme von Diskursverantwortung weder in ihrer Aus- noch Weiterbildung vorbereitet sind. Das sollte aber, so Homann weiter, „kein Argument dafür sein, diese Aufgabe zurückzuweisen; es ist vielmehr ein starkes Argument dafür, die Ausbildung entsprechend zu reformieren“.

Zehn Jahre nach diesem Statement zog ich eine Bilanz zum Stand der Integration der Humanities in die Managementbildung unter Verwendung eines Zitats des Philosophen Jürgen Mittelstrass in einem ähnlichen Zusammenhang: „Das Bewusstsein ist da, Theorie und Praxis hinken noch hinterher“. 

Sind heute, gut 5 Jahre nach dieser Bemerkung, Theorie aber auch die Praxis „in Gang“ gekommen?

Mit einem eindeutigen Ja kann ich diese Frage in Bezug auf die TU München beantworten, an der ich seit einigen Jahren als Lehrbeauftragter arbeite und die zu Recht den Beinamen The entrepreneurial University trägt. Die Lehrprogramme sind dort nicht von starren Strukturen gekennzeichnet, sondern überlassen den Studenten, deren Initiative vorausgesetzt, viel Raum für Gestaltung. Das gilt auch für die inhaltliche und formale Integration der Humanities in die Studiengänge, das bedeutet, daß der Erwerb von Studienleistungen, erbracht zum Beispiel an der Hochschule für Politik oder an der Hochschule für Philosophie, an der TU anrechenbar ist. Diese Möglichkeiten beruhen auf Entscheidungen, die zum Teil schon vor zwanzig Jahren vorausschauend an der TU getroffen wurden und werden zunehmend bei den Studenten in Anspruch genommen. Diesen wachsenden Zuspruch erlebe ich auch in meinen Seminaren, in denen das Werk Peter Druckers im Mittepunkt steht.

Ein weiterer Meilenstein geschaffen von der TU München, ist die Gründung des – Institute for life long Learning – Anfang 2021, das sich eben nicht nur auf die Wirtschaftswissenschaften beschränkt, sondern alle Fakultäten umfasst.

Ohne Zweifel lassen diese Entwicklungen für die Zukunft hoffen. Doch welche Initiativen ergreifen gestandene Manager heutzutage für Ihre Weiterbildung? 

Diese Frage erörterte ich kürzlich mit einem meiner engsten Freunde, der als Unternehmer und Investor beinahe wöchentlich im Flugzeug sitzt. Bei unserer Unterredung las ich ihm aus einem ZEIT – Artikel des Soziologen und Philosophen Christian von Krockow aus dem Jahre 1980 vor. Überschrieben war dieser mit: Keine Zeit, keine Zeit, keine Zeit – und erzählt von Begegnungen mit Führungskräften in der 1. Klasse des Intercitys. Insbesondere folgende Schlussbemerkung von Krockows stellte ich meinem Freund zur Diskussion: „Bleibt nur die Frage: Wie sieht eigentlich die Zukunft einer Gesellschaft aus, in der die Verantwortlichen und Führenden keinen Raum mehr zur Besinnung, keine Zeit zum Nach- und Vordenken haben? Um zum Anfang und in den Intercity zurückzukehren: Was die Herren da lesen, ist nur selten die FAZ – und leider auch kaum DIE ZEIT. Es ist die Bild-Zeitung“. 

Daraufhin fragte ich meinen Freund: „Was erlebst Du auf Deinen vielen Reisen in der Business oder First Class? Ich habe das Gefühl, es hat sich nichts geändert! Was meinst Du“? Er antwortete: „Keine Zeit gilt auch heute und der immer schon bevorzugte Lesestoff wie die Bunte oder Gala, also Print Crap, wird heute aus dem kostenlos zur Verfügung gestellten Online-Angebot präferiert heruntergeladen. Vom Print Crap zum Online Crap. Hinzu kommen noch die viel genutzten sogenannten social media wie Twitter oder Facebook, also zusätzlicher Online Crap. – Nein! Es hat sich nichts geändert! Manchmal habe ich sogar den Eindruck, es ist ein Stück schlimmer geworden.

Zum Abschluss möchte ich noch einige Anmerkungen vor allem zu den Möglichkeiten und Grenzen von Bildung machen.

Theodor W. Adorno hatte recht, als er sagte, Bildung allein macht noch keine vernünftige Gesellschaft, aber ohne Bildung ist keine vernünftige Gesellschaft möglich. Dem ist hinzuzufügen, daß intellektuelle Bildung und sittliche Bildung nicht auseinander hervorgehen. 

Und noch ein weiteres: es geht nicht darum durch Bildung die Manager zu neuen Staatsmännern zu erziehen, sondern vielmehr, um die Möglichkeit zu schaffen, Entscheidungen effektiver dahingehend zu reflektieren, ob das Anstreben des ökonomischen Maximums sinnvoll ist oder das optimieren unter Einbeziehung der politischen Ungewissheiten.

Auch die Forderungen an das ethische Verhalten sollten weder von einem zu optimistischen noch von einem zu pessimistischen Menschenbild geleitet sein. Es geht – in den Worten Helmuth Plessners – um eine Ethik des Ausgleichs für die es heißt: „Mit der Wirklichkeit rechnen heißt mit dem Teufel rechnen und mit dem Teufel rechnen ohne ihm zu verfallen, ohne zu entarten … ist die hohe Kunst einer Ethik des Ausgleichs“.

Das klingt anspruchslos im Vergleich zu den Forderungen, die heute nach der Wiederentdeckung – der Human Side of Enterprise – in vielen Managementpublikationen, Seminaren und Symposien propagiert werden. Es kommt aber darauf an, daß der Manager in dem „teuflischen“ Spannungsfeld, in dem er seinem Beruf nachgeht, wie Peter Drucker sagt, weder durch seine Taten noch Worte! wissentlich keinen Schaden zufügt und das ist in der Tat eine hohe Kunst.

Bildung ist hierfür sicherlich kein Allheilmittel, aber sie kann dabei mithelfen, daß das gute Herz eines Menschen durch einen reflektierenden Kopf geleitet wird.

About the Author:
Peter Paschek, Management consultant since 40 years, shared a deep friendship with Peter Drucker for more than 20 years. His book: Peter F. Drucker – Erinnerungen an einen konservativ christlichen Anarchisten – was published in 2020.

This article is one in the “shape the debate” series relating to A Day of Drucker on June 30, 2021.

3 comments

  1. Your article’s substance piques my attention, and I’m pleased by your work. I’m hoping for more excellent blogs in the future.

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