PETER PASCHEK

MANAGEMENT ALS
GESELLSCHAFTLICHE
AUFGABE

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„In the half-century after second world war, the business corporation has brilliantly proved itself as an economic organization, that is the creator of wealth and jobs. In the next society the biggest challenge for the large company, especially for the multinational, may be its social legitimacy: its values, its mission, its vision”.1

Zur Einführung
 

“Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt” verkündete Mitte der 90er Jahre ein deutscher Wirtschaftsminister. Er tat dies, ohne dabei wirklich massiven Widerspruch zu erhalten, denn die Bemerkung – von einigen als etwas unglücklich abgetan - lag im Trend des Zeitgeistes der vergangenen 30 Jahre.

Welch fataler Irrtum dieser Aussage innewohnt, haben die Ereignisse der letzten Wochen und Monate mit Nachdruck verdeutlicht: Wirtschaft findet in der Gesellschaft statt und eine globale Wirtschaft in einer globalen Gesellschaft!

Peter Drucker erfasste das wie kein anderer und legte es in seinem großen, umfassenden Werk in der für ihn typischen klaren Sprache dar: „None of our institutions exists by itself and is an end by itself. Everyone is an organ of society and exists for the sake of society. Business is no exception. Free enterprises cannot be justified as being good for business. They can be justified only as being good for society. 2

Es war wiederum Peter Drucker vorbehalten, Management als gesellschaftliche Funktion zu identifizieren und daraus die fundamentalen Aufgaben des Managements von Organisationen abzuleiten. „Management and Managers are the central resource, the generic, the distinctive, the constitutive organ of society … and the very survival of society is depending on the performance, the competence, the earnestness and the values of their managers…What managers are doing is therefore a public concern.”3

Drucker übernahm selber die aus diesen Erkenntnissen resultierende Verantwortung, indem er bei der Darlegung seiner Wahrnehmungen und Analysen nie stehenblieb, sondern die gesellschaftlich Verantwortlichen zum Handeln aufforderte: Sie sollten mitwirken – nicht um das Paradies auf Erden zu schaffen, aber eine funktionierende, für die überwiegende Mehrheit der Menschen erträgliche Gesellschaft.

Peter Drucker sah sich immer als Außenseiter und wurde von seiner Umgebung auch so wahrgenommen. Die Versuche, ihn in eine Schablone wie „Management Guru“ oder „Futurist“ zu pressen, nahm er nicht ernst, vor allem, weil sie seinem Werk in keiner Weise gerecht wurden. Er selbst begriff sich Zeit seines Lebens zu allererst als Gesellschaftsdenker, dann erst als Managementtheoretiker, darüber hinaus bezeichnete er sich als Sozialökologen, beschäftigt mit „man’s man – made environment the way the natural ecologist studies the biological environment.4

Den Wissenschaften im traditionellen Verständnis fühlte er sich nicht zugehörig. Wenn überhaupt, dann sah er sich als Vertreter der „moral sciences“. „If it (die Sozialökologie“) is a science at all, it is a “moral science” – to use an old term that has been out of fashion for 200 years”.5 Im Kern seines Denkens verstand er sich mit zunehmendem Alter in Anlehnung an Henry Adams 6 als christlich-konservativer Anarchist:

“Ein konservativ-christlicher Anarchist, ja das bin ich mehr oder weniger! Je älter ich werde, umso skeptischer werde ich gegenüber all den Versprechen, die die Menschheit durch eine Gesellschaft erlösen wollen. Ich denke, dass eine der wesentlichen Erfahrungen, die wir in den letzten 50 Jahren gemacht haben, darin liegt, dass wir zunehmend desillusioniert wurden von „Volksbeglückung“ und zunehmend zur Überzeugung gelangten, dass es keine perfekte Gesellschaft gibt, sondern nur eine erträgliche. Man kann verbessern, aber nicht perfektionieren – und dies ist ein konservatives Konzept, aber ebenso auch ein christliches, da es den Schwerpunkt auf das Individuum und seinen Glauben legt und das Ende nicht in dieser Welt, sondern außerhalb dieser Welt sieht. Darum bin ich konservativ-christlich und Anarchist in dem Sinne, dass ich zunehmend misstrauisch werde gegenüber Regierungen – nein, das ist das falsche Wort – gegenüber Macht. Als Philosoph – der ich nicht vorgebe zu sein – habe ich immer Macht als das zentrale Problem und die Lust an der Macht als die Grundsünde des Menschen angesehen – nicht Sex. Sex ist keine Sünde, das haben wir mit allen Tieren gemein. In diesem Sinn bin ich Anarchist, aber ungleich den Anarchisten akzeptiere ich das Erfordernis von Regieren und Regierung. Der von mir am meisten geschätzte politische Philosoph ist Wilhelm von Humboldt, der Gründer der Universität Berlin im Jahr 1809. Er hat als junger Mann von 23 Jahren ein wunderbares Buch über den Mythos der französischen Revolution geschrieben. Darin enthalten ist ein Essay mit dem Titel „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“. Dieses Thema bildet den Mittelpunkt meines Interesses. Diese Fragestellung veranlasste mich, mich mit den Wirtschaftsunternehmen zu beschäftigen und den anderen autonomen Institutionen unserer Gesellschaft, die soziale Aufgaben übernommen haben und somit die Macht des Staates einschränken. Deshalb nenne ich mich auch heute einen konservativ-christlichen Anarchisten, allerdings in dem eben beschriebenen sehr speziellen Sinn.“ 7

Einer der ersten, der die Bedeutung von Druckers Werk für die Management-Ausbildung frühzeitig erkannte, war der herausragende Wissenschaftler Hans Ulrich im Schweizerischen St. Gallen. Auf sein Betreiben wurde Peter F. Drucker bereits (1970!) die Ehrendoktorwürde der Universität St. Gallen verliehen. Akademische Schüler von Hans Ulrich wie Peter Gomez haben das fortgesetzt, was er begonnen hatte: Die Gedanken und Handlungsanleitungen von Peter Drucker in ihrer Ganzheit denjenigen zu vermitteln, die nach ihrer Ausbildung in das Management von Organisationen streben.

Worin liegt nun die Essenz von Druckers Werk und seine Bedeutung für unsere Gesellschaft, insbesondere für ihre Institutionen wie Wirtschaftsunternehmen, staatlichen Organisationen oder Universitäten?

Ich hatte die große Ehre, Peter Drucker in den letzten 30 Jahren seines Lebens als Lehrer kennen- und als Freund schätzen zu lernen. Vor diesem durchaus persönlichen Hintergrund versuche ich nachfolgend, Grundlinien in seinem Werk in kompakter Form nachzuzeichnen. Welche markanten Punkte und übergreifenden Ideen prägten Druckers Weltsicht? Über allem steht eine außerordentliche Sensibilität für die Bedeutung von Sprache und die von ihr ausgehende Kraft. Der Glutkern allen Nachdenkens bei Drucker jedoch ist die – wie ein roter Faden alles durchziehende – Frage nach dem Wesen von „Gemeinschaft und Gesellschaft“. Es sind diese fundamentalen Schlüsselkategorien, auf denen Drucker sein Verständnis von „Management als soziale Funktion“ aufbaut und in denen eine Ethik der Verantwortung gründet. Ich werde diese zentralen Konzepte zunächst summarisch skizzieren und dann von einem persönlichen Dialog mit ihm berichten, in dem Drucker aus einer konkreten zeithistorischen Konstellation heraus Stellung bezieht zur Frage einer „funktionierenden Gesellschaft“. Der Aufsatz schließt mit einer Anmerkung zur Managementausbildung als gesellschaftliche Aufgabe.

Die Bedeutung der Sprache
 

„Die Sprache ist nichts Wirkliches und dennoch kann sie etwas Wirksames sein, eine Waffe, eine Macht“. 8

„Language is aesthetics and aesthetics is morality“. 9

Das gesamte Werk Peter Druckers ist bestimmt von einem tiefen Respekt vor der Bedeutung der Sprache und dem respektvollen Umgang mit dieser. „The Vienna in which I grew up, was also the home of Karl Kraus (1874 – 1936), arguably the greatest Master of the German language in this century. And for Kraus language was morality. Language was integrity. To corrupt language was to corrupt society and individual alike”. 10

Sprache, so Drucker, schafft Gemeinschaft und Gemeinsamkeit und hält diese zusammen. Hieraus folgt die gesellschaftliche Verantwortung von Wissensträgern, seien es Manager, Wissenschaftler oder Unternehmensberater, sich gegenüber dem „common man“ verständlich zu machen und der Allgemeinheit durch eine verständliche Sprache Zugang zu ihrem Wissen zu verschaffen.

Speziell mit den Intellektuellen geht Drucker scharf ins Gericht, insbesondere mit den Vertretern der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. „The conceit that science is not “science” is not„respectable” unless it is unaccessible, is obscurantism. I consider the obscurantism of today’s intellectuals to be betrayal and treason”. 11 Dabei gibt es zumindest vor dem II. Weltkrieg genügend Beispiele bedeutender Persönlichkeiten der Sozialwissenschaften, die durch ihre sprachliche Klarheit und Verständlichkeit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht wurden, “as did the first rate historians of that day, as did Reinhold and Richard Niebuhr both, and even the economists of that day. Max Weber wrote simply, clear and accessibly and published in magazines for the laity and even in the daily press – and so did Thorstein Veblen.”12

Peter Drucker hat immer abwehrend reagiert, wenn man ihn als Intellektuellen bezeichnete. Natürlich war er das, und zwar im Sinne von Denis Diderot (1713-1784), dem wie Wolf Lepenies es formuliert „selbstironischen Anwalt des intellektuellen Anstands. Diderots Intellektueller führt keine aparte Existenz, die Alltagswelt ist ihm nicht fern und fremd. Da er weiß, dass der Mensch nur in Gesellschaft mit anderen leben kann, will er seine eigene Soziabilität voll entwickeln, seinen Mitmenschen gefallen und sich nützlich machen. So wird die Selbstüberschätzung des Intellektuellen domestiziert und aus der Weltfremdheit des Gelehrten wird die Verpflichtung, zur Mehrung des öffentlichen Wohls beizutragen.“ 13

Gesellschaftliche Verantwortung, Autorität, die sich durch Kompetenz legitimiert sowie ein tiefes einfühlsames Verständnis für die Stärken und Schwächen, für die Möglichkeiten und Grenzen des Menschen sind die Grundorientierungen des Intellektuellen, des Wissenschaftlers und des Sozialökologen Peter Drucker. Hierzu gehört auch die Verantwortung gegenüber der Sprache. „Thus I always thought that the social ecologist has a responsibility to language. Social ecologists need not to begreat” writers; but they have to be respectful writers, caring writers”. 14

Schlüsselkategorien: Gemeinschaft und Gesellschaft
 

“Denn hier ist im modernen Staat ein Gebilde entstanden, das seinem Wesen nach im steten Wandel der Form begriffen ist, Träger dieses Wandels, Träger des Geschichtsablaufs zu sein”. 15

Peter Drucker hat immer wieder betont, dass das Management nie das zentrale Thema seines Interesses und seiner Arbeit gewesen ist: „Management was neither my first nor has it been my foremost concern. I only became interested in it because of my work on community and society“. 16

Seit seiner ersten Veröffentlichung über Friedrich Julius Stahls konservative Staatslehre im Jahre 1933 prägen Druckers Werk folgende Punkte: Das Interesse an gesellschaftlichen Strukturen und Entwicklungen und damit verbunden die ständige Suche nach Möglichkeiten, Kontinuität und Bewahren auf der einen Seite mit Wandel und Innovation auf der anderen zu verbinden, sowie die Frage nach einer funktionierenden Gesellschaft, die Individuum, Gemeinschaft und Gesellschaft integriert.

Durch wen wurde Peter Drucker in seinen Erkenntnissen maßgeblich bestätigt und in seinen Gedanken entscheidend geprägt? Im Wesentlichen von konservativ-liberalen Persönlichkeiten, die - wie er - in Zeiten gravierender Veränderungen lebten und deren Hauptinteresse darin lag, sich durch effektiven, balancierten Einsatz von Erhalten und Erneuern einer „erträglichen“ Gesellschaft anzunähern. Dazu gehörte natürlich Stahl (1802 – 1861), aber auch der leider in Vergessenheit geratene Wiener Sozialphilosoph Othmar Spann (1878 – 1950), mit dem Drucker bis zu dessen Tod freundschaftlich verbunden war. In gleichem Maße wurde Peter Drucker beeinflusst durch den großen englischen Philosophen und Staatsmann Edmund Burke, von den Gründungsvätern der Vereinigten Staaten und Autoren der Federalist Papers James Madison und Alexander Hamilton sowie von den wegweisenden Arbeiten des großen französischen Sozialphilosophen und Politikers Alexis de Tocqueville. Außerordentlich wichtig für Peter Drucker war auch Walter Bagehot (1826 – 1877), der wohl herausragendste politische Schriftsteller Englands und berühmte Herausgeber des Economist. Peter Drucker bezeichnete ihn als denjenigen, der ihm hinsichtlich Temperament, Konzept und Arbeitsweise am nächsten stand.

Zwei Männer, die größte Wirkung auf das Druckersche Werk hatten, sind besonders hervorzuheben. Der große Soziologe Ferdinand Tönnies (1856 – 1936) und der politische Philosoph, Staatsmann und Sprachforscher Wilhelm von Humboldt (1767 – 1835). „Tönnies was indeed the first and greatest influence on me. I first read him – by pure accident – in Hamburg in 1927 or 1928 when I was a deadly bored Kaufmannslehrling there“. 17

Die Schrift “Gemeinschaft und Gesellschaft” von Tönnies ist eines der Hauptwerke der Soziologie. „Tönnies juxtaposed community, which is focused on being, that is status, with society which is focused on doing, that is function. I argue that the basic institutions of society has to be both a community that gives status, and a society that does function.” (18) Status und Funktion benötigt der Mensch in seiner sozialen und politischen Existenz ebenso wie die Luft zum Atmen in seiner biologischen. „Man must have status and function in his society in order to be a person. Without he is either the “caged spirit” of Oriental philosophy, senselessly and meaninglessly caught in a senseless and meaningless life or just “Homo sapiens” and one of the more brutish apes. And only a society that gives status and function to its members can expect their allegiance”. 19

Natürlich weiß Drucker um die Grenzen des Individuums und damit der Gesellschaft. Perfektion und absolute Erfüllung sind für ihn illusorisch. „The demand is however, for efficient rather than for absolute fulfillment, for adequacy rather than for perfection. We deal after all with the social order of men not with that of angels. But there is a point below which the efficiency of social fulfillment may not fall without making society appear despotic, arbitrary, irrational and meaningless. Where this point is we do not know”. 20

Wilhelm von Humboldt hat Peter Drucker maßgeblich inspiriert, nicht aufzuhören, nach den Grenzen der Möglichkeiten des Staates zu fragen. „I began to ask the same question: What are the limits of government effectiveness in the early years after World War II and began to ask it with increasing urgency as we went into the Eisenhower administration.21

Von Humboldt war für Drucker aber auch bahnbrechender Architekt einer sozialen Ordnung, die in der Lage war, “Bewahrung” und “Veränderung” in der für die Dynamik einer Gesellschaft erforderlichen Balance zu halten. „What Humboldt did was to balance two conserving institutions: a professional and university-trained civil service and a professional army, with two innovating institutions: the research university with complete freedom of research, publishing, and teaching, and the free-market economy on Adam Smith’s prescription. The Monarch – a strong executive, very similar to the way Humboldt saw George Washington in far away America – would preside the four and would serve as the balancing wheel. And, to repeat, this worked for a hundred years.22

Management als soziale Funktion
 

“There are three tasks, equally important but essentially different, which management has to perform to enable the institution in its charge to function and to make its contribution:

-    the specific purpose and mission of the institution, whether business enterprise, hospital or university;
-    making work productive and the worker achieving;
-    managing social impacts and social responsibilities.” 23

Wirtschaftsunternehmen haben in den letzten 100 Jahren insbesondere in den entwickelten Ländern des Westens und in Japan durch ihre ökonomischen Leistungen wesentlich dazu beigetragen, dass der weitaus größte Teil der Bevölkerung in diesen Regionen in materiellem Wohlstand leben konnte. D.h. das Management dieser Unternehmen hat sich durch die umfassende Deckung des Bedarfs an wirtschaftlichen Produkten und Dienstleistungen als Leistungselite legitimiert – in den Worten Druckers „as one of society’s leadership group“. Das aber ist nur ein Aspekt der Legitimität des Managements von Organisationen in einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft. „Increasingly, in our pluralist society of organizations, it has to be added to its fundamental concern for the quantities of life, i.e. economic goods and services, concern for the quality of life, that is, for the physical, human, and social environment of modern man and modern community.24

Damit erhalten das Wirtschaftsunternehmen und sein Top-Management zunehmend die Aufgabe “to make social values and believes, create freedom for the individual and produce the good society. This demand requires new thinking and new action on the part of the manager. It cannot be handled in the traditional manner. It cannot be handled by public relations”. 25

Zurückkehrend zur Drucker’schen Definition der drei Dimensionen des Managements im Allgemeinen ist festzustellen, dass die gesellschaftliche Funktion des Managers eines Wirtschaftsunternehmens im Folgenden liegt: Es gilt, die drei Teilaufgaben – eine ökonomische Leistung erbringen, die Stärken der Mitarbeiter wirksam zu machen sowie soziale Einwirkungen und Probleme managen – gleichzeitig wahrzunehmen und dabei die Bedürfnisse von heute und die Anforderungen von morgen gleichermaßen zu berücksichtigen. Eine hochkomplexe Aufgabenstellung, bei der insbesondere der Wirtschaftsmanager seine Entscheidungen permanent in einem Spannungsfeld treffen muss. Auf der einen Seite steht das Postulat „Performance of his function is his first social responsibility. Unless it discharges its performance responsibility, it cannot discharge anything else. A bankrupt business is not a desirable employer and is unlikely to be a good neighbour in a community.” 26 Und auf der anderen Seite steht die Bedeutung des wirksamen Managements gesellschaftlicher Einwirkungen und Probleme „because no organ can survive the body of which it serves; and the enterprise is an organ of society and community. Therefore mismanaging social impacts and social problems eventually will destroy society’s support for the enterprise and with it the enterprise as well.” 27

Die Ethik der Verantwortung
 

Management ist eine objektive Funktion der Verantwortlichkeit für die spezifische Leistung einer Organisation, sei es ein Wirtschaftsunternehmen, ein Krankenhaus oder ein Theater, eine Regierungsbehörde oder ein Forschungsinstitut.

Management ist eine berufliche Aufgabe, seinen Kern bildet weder Reichtum noch Rang, sondern Verantwortung.

Welche Pflichten fordert die Berufsethik des Managers ein? Welche Pflichten hat dieser in der Verantwortung für Gemeinschaft und Gesellschaft und wie müssen wir diese Ethik der Verantwortung definieren?

Peter Druckers Verständnis von Ethik hat nichts mit Business Ethics in dem Sinne zu tun, wie es seit Jahrzehnten die meisten Seminare und Management-Bücher behandeln, in denen es um alltägliche Ehrlichkeit geht und in denen erzählt wird, man soll nicht betrügen, stehlen, lügen, bestechen oder Bestechungen annehmen. Das sollte auch sonst niemand tun. Ebenso wenig geht es um Ethik, wenn Callgirls zum Kunden-Entertainment bestellt werden. Dies ist nur eine Frage des eigenen Anspruchs und des eigenen Geschmacks. „It would indeed be nice to have fastidious leaders. Alas, fastidiousness has never been prevalent among leadership groups, whether kings and counts, priests or generals, or even „intellectuals“ such as the painters and humanists of the Renaissance, or the „literati“ of the Chinese tradition. All a fastidious man can do is withdraw personally from activities that violate his self-respect and his sense of taste.28

Die Grundregel für die Ethik der Verantwortung lautet dagegen für Drucker „Primum non nocere“ über allem nicht wissentlich Schaden zufügen! Formuliert vor mehr als 2500 Jahren als die vorrangige berufliche Verantwortlichkeit  im hypokratischen Eid der Ärzte im antiken Griechenland.

Übertragen auf die Grundorientierung des Managers heißt das „über allem wissentlich keinen gesellschaftlichen Schaden anrichten.“

Auch hier geht es Drucker nicht um Perfektion, sondern um die Orientierung an einem fordernden Leitbild. „There are important areas where managers and especially business managers still do not realize that they have to impose themselves the responsibility of the professional ethic. They still have to learn that it is their job to scrutinize their deeds, words and behaviour to make sure that they do not knowingly do harm.” 29

Ein wesentlicher Bereich wurde bereits weiter oben behandelt. “The manager who fails to think through and work for the appropriate solution to an impact of this business because it makes him “unpopular in the club” knowingly does harm. He knowingly abets a cancerous growth. That this is stupid has been said. That this always in the end hurts the business or the industry more than a little temporary unpleasantness has been said too. But it is also a gross violation of professional ethics”. 30

Management legitimiert sich vor allem über Glaubwürdigkeit, über authentisches Verhalten. Die Glaubwürdigkeit unserer Institutionen aber hat gelitten. In der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts betraf dies vornehmlich die politischen Organisationen. Mittlerweile sind aber auch die Wirtschaftsunternehmen in eine erhebliche Legitimitätskrise geraten. Der zunehmende Glaubwürdikgeitsverlust einer Institution ist immer verbunden mit einem schwindenden Vertrauen in diese. Die Menschen beginnen, die Legitimation dieser Institution infrage zu stellen, und damit entsteht ein soziales Problem, aus dem eine schwere funktionelle Störung der Gesellschaft resultieren kann.

„The higher the monkey goes the more of his behind he shows“ lautet ein alter englischer Kinderreim, den Peter Drucker unzählige Male zitiert. Je höher Manager in der Hierarchie angesiedelt sind, umso mehr stehen sie „unter Beobachtung“. Ganz gleich, ob ihre Organisation ein Konzern, eine Universität oder die Armee ist. „They must expect their behaviour to be seen scrutinized, analysed, discussed, and questioned. So they have to shun actions that cannot easily be understood, explained or justified. Being visible, managers are also examples. They are leaders by their very position and visibility, particularly in top management. Their only choice is their example leads others to right action or to wrong action. Their only choice is between direction and misdirection, between leadership and misleadership. These terms have ethical obligations to give the example of right behaviour and to giving the example of wrong behaviour”. 31

Hier wird nicht der Wunsch nach der perfekten Führungskraft kundgetan. Derartiges existiert weder auf gesellschaftlicher noch auf organisatorischer Ebene, ganz zu schweigen von der individuellen. Niemand hört auf, ein menschliches Wesen zu sein, wenn er zum Vorstand, Bürgermeister oder Universitäts-Präsidenten berufen wird. Keiner erwartet von seinem Vorgesetzten, dass er der „Liebe Gott“ ist, aber vielleicht, dass er etwas näher am „Lieben Gott“ ist als man selbst. Man wünscht sich jemanden, dem man vertrauen kann, jemanden, dessen Handlungen dem entsprechen, was er sagt. Also jemanden, der sich durch glaubwürdiges Verhalten auszeichnet.

Einige Beispiele aus jüngster Zeit mögen dies verdeutlichen: Da initiiert der Top Mann einer transnationalen Institution ein sehr wichtiges und sinnvolles Anti-Korruptionsprogramm einerseits und betreibt gleichzeitig Vetternwirtschaft; oder der Vorstandsvorsitzende eines bedeutenden Konzerns gibt die Entlassung von mehreren Tausend Mitarbeitern bekannt und erklärt zugleich, auf 10 % seines Jahresgehalts zu verzichten, oder der Chef einer Landesregierung kritisiert öffentlich die mehr oder weniger moderaten Gehälter des Top-Managements der landeseigenen Unternehmen, schwelgt aber genauso öffentlich in seinen Freundschaften zu Celebrity-Millionären.

Peter Drucker hat Zeit seines Lebens darauf hingewiesen, dass die Argumentation vieler Manager weltweit in Sachen Profitmotiv es der breiten Öffentlichkeit unmöglich macht, die volkswirtschaftliche Realität zu verstehen. „Managers constantly complain about the hostility to profit. They rarely realize that their own rhetoric is one of the main reasons for this hostility. For indeed in the terms management uses when it talks to the public, there is no possible justification for profit, no explanation for its existence, no function it performs. There is only the profit motive, that is, the desire of some anonymous capitalists – and why that desire should be indulged in by society any more than bigamy, for instance, is never explained. But profitability is a crucial need of economy and society.” 32

“Über allem keinen gesellschaftlichen Schaden anrichten” klingt vergleichsweise bescheiden gegenüber den aufwändigen Corporate Social Responsibility-Konzepten von heute, „but as the physicians found out long ago, it is not an easy rule to live up to. It’s very modest and self-constraint making it the right rule for the ethics of managers need, the ethics of responsibility”. 33

Wege aus einem vertanen Jahrhundert
 

In seinem Anfang 1942 veröffentlichten Buch “The future of the industrial man” schreibt Drucker: „The United States as a world power- perhaps as the world power- will certainly have to use her power politically; that is as power. But if the American Century means nothing except the material predominance of the United States it will be a WASTED CENTURY. (Hervorhebung durch den Verfasser). Some people today seem to think that it is the destiny of the United States to outnazi the Nazis in world conquest to substitute the yankee of the master race for Hitler’s Nordics; some even call that “fighting for democracy”. But this way would not lead to America’s strength and greatness but only to her downfall. It would also lead to a solution of the basic social crisis of which this war is but an effect.” 34

Mehr als 50 Jahre später erzählte Peter Drucker mir von seinem neuesten Buchvorhaben mit dem Titel “Incorrect reflections on a wasted century”. Im März 2003, kurz nach dem Einmarsch der USA in den Irak sandte ich ihm ein Fax, in dem ich das oben Genannte zitierte und ihn an unser Gespräch acht Jahre zuvor erinnerte. Ich beendete das Fax mit „May I conclude that finally the 20th Century was’nt a wasted century?“ Die Antwort kam prompt:

“Dear Peter,
NO. The only conclusion is that I wasted much of my time not writing the truly important books I should have written. My non written books greatly outnumber my written ones. – And some such as “The wasted century” or “Organizing Ignorance” might have been a great deal more important than the – easier ones – I wrote instead. – We are just now in a very depressing mood – I don’t have to explain it, do I?
35

Das Versagen der politischen Institutionen ist für Peter Drucker wesentlicher Grund, warum für ihn das 20. Jahrhundert ein vertanes Jahrhundert war. “Hitler, Stalin and Mao, the three evil geniuses of this century, destroyed. They created nothing. – Indeed if this century proves one thing, it is the futility of politics.”  36

Das 20. Jahrhundert war jedoch auch insbesondere in seiner zweiten Hälfte geprägt durch signifikanten sozialen Wandel. Aber es waren weder die schrecklichen und erschütternden Ereignisse dieses Jahrhundert, die die extremen sozialen Veränderungen auslösten, noch waren die Wandlungsprozesse Verursacher dieser fürchterlichen Geschehnisse. „They have proceeded with a minimum of friction with a minimum of up-heaval, and with a minimum of attention from scholars, politicians, the press and the public“.37 Peter Drucker war der erste, der erkannte, dass diese extremen Veränderungen nicht nur maßgeblich auf die Strukturen unserer Gesellschaft als Ganzes einwirken, sondern auch auf die Wirtschaft, die Gemeinschaft und die Politik. „The age of social transformations will not come to an end within the year 2000 – it will not even peaked by then“. 38 Und wieder war es Drucker, der die neuen, unsere Gesellschaft bestimmenden Strukturelemente erfasste. Es sind

-    die Wissensarbeiter als die größte Gruppe der Beschäftigten und die Wissensgesellschaft

-    Ausbildung und Bildung als Zentrum der Wissensgesellschaft

-    die auf einen Zweck gerichtete Organisation wie das Krankenhaus, die Universität, das Wirtschaftsunternehmen oder die Regierungsbehörde und die Gesellschaft der Organisationen

-    das Management der Organisation als soziale Funktion mit der Aufgabe, Wissen produktiv zu machen und der Manager als Mitglied einer Gruppe, die in der Gesellschaft Führungsaufgaben wahrnimmt.

Diese neuen gesellschaftlichen Strukturelemente sind die entscheidenden Kräfte, die unsere Welt nicht nur in eine globale Wirtschaft, sondern auch in eine globale Gesellschaft verwandelt haben.

Aber sozialer Wandel in einer globalen Gesellschaft führt nicht automatisch zu einer besseren Gesellschaft. Er macht soziale und politische Innovationen erforderlich. Das 20. Jahrhundert lieferte hierzu keine zielführenden Lösungen, im Gegenteil: Die USA haben ihre Chance nicht genutzt, als demokratische Großmacht wirksam zu werden.

Der Wohlfahrtsstaat hat die alten sozialen Verwerfungen durch neue ersetzt. „The Welfare State has not ended poverty, it has instead turned it into degradation and dependence. It has done so in the domestic as well as in the international society that is through domestic welfare and foreign aid.39

Schließlich hat die Dominanz des „Speculator’s Capitalism“ das Management von Wirtschaftsunternehmen in eine tiefe Legitimationskrise geführt. Schon 1986 stellte Peter Drucker die Frage: „Can modern democratic society tolerate the subordination of all other goals and priorities in a major institution, such as the public owned corporation to short term gain?40 und antwortete 1998: “I am for free market even though it doesn’t work too well. But I have serious reservations about capitalism as a system because it idealizes economics as to be – all and end – all of life. It is one dimensional. Today I believe it is socially and morally unforgivable when managers reap huge profits for themselves but fire workers. As societies, we will pay a heavy price for the contempt this generates.” 41

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit unsere Gesellschaft funktionsfähig ist und für den weitaus überwiegenden Teil ihrer Menschen erträglich wird? Schon Anfang der 70er Jahre stellte Drucker Guidelines auf, die bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben: „The first is that the economic organization of society, i.e. business and their managers, require autonomy and accountability: in the interest of economy; for the sake of strong and effective government; and in the interest of society. “Accountable Enterprise” might be a better slogan than the by now hackneyed “Free Enterprise”. 42

Eine funktionierende Gesellschaft erfordert ferner den Pluralismus von Eliten mit unterschiedlichen Werten, Prioritäten und Lebensstilen, d.h. einen Komplex von Gegenkulturen, die sich gegenseitig respektieren und in konkurrierender Koexistenz bestehen. „It requires alternatives – in careers and career leaders, in point of view, in life-styles otherwise it degenerates into conformity and loses its capacity for change“. 43

Und schließlich ist für eine funktionierende Gesellschaft eine starke, wirksame Regierung unerlässlich. „Government is needed as the political decision-maker, more than ever before perhaps. And at the same time the capacity of government to be the political decision makers is increasingly jeopardized by its weight, size, and bureau-cratization. It is increasingly jeopardized by government tendency to take on too many things, to promise too much and to “do” too much.” 44

Managementausbildung als gesellschaftliche Aufgabe
 

“The university may well offer the most challenging, the most difficult, but also the most needed of all managerial tasks around today.” 45

Im vergangenen Jahr erschien in den USA ein Buch mit dem Titel “From higher aims to hired hands”. Der Autor ist der Harvard Professor Rakesh Khurana und der Untertitel lautet: „The social transformation of American Business Schools and the unfulfilled promise of management as profession.” Das Fazit überrascht nicht, ist aber mehr als ernüchternd. “The delegitimation of managerial authority and the abandonment of the professionalization project in business schools have created conditions in which the ultimate purpose of management and of business schools as institution are now up for grabs.46

Erinnern wir uns, für Peter Drucker ist Management eine gesellschaftliche Funktion, ein Beruf mit Verantwortung gegenüber Gesellschaft, Gemeinschaft und Individuum gleichermaßen, “a liberal art in which the humanities will again acquire recognitism, impact and relevance, because management deals with people, their values, their growths and development.”  47 An diesen Erkenntnissen gemessen bestätigt sich also der Irrweg, den die amerikanischen Business Schools eingeschlagen haben, aber sind es nur diese? Bedarf es nicht auch in den europäischen und anderen universitären Management-Schulen einer sorgfältigen Überprüfung des „Mission Statements“ und der Curricula, denn „when institutions lose their legitimacy or find it called in question, the times are ripe for their reinvention. It is more than possible that we live in such times now.“ 48 Das Werk Peter Druckers gehört in jedem Fall nicht wie bisher an den Rand, sondern in den Mittelpunkt zukünftiger Managementausbildung.

Peter Paschek

Berlin, Oktober 2008

OVERVIEW

  1. Peter F. Drucker, A functioning Society, New Brunswick 2003, S. 230
  2. Peter F. Drucker, Management: Tasks, Responsibilities, Practices, New York 1985 (Erstveröffentlichung 1973/74), S. 41
  3. Peter F. Drucker, The ecological Vision, Reflections on the American Conditions, New Brunswick 1993, S. 150
  4. Ebenda, S. 441
  5. Ebenda S. 457
  6. Henry Adams (1838-1918), amerikanischer Historiker und Sozialphilosoph
  7. Peter F. Drucker; Peter Paschek (Hrsg.): Kardinaltugenden effektiver Führung, Heidelberg 2004, S. 225 f.
  8. Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Leipzig 1923, Bd. I, S. 49
  9. Peter F. Drucker, The ecological Vision, ebenda, S. 456
  10. Ebenda, S. 455
  11. Ebenda, S. 454f.
  12. Peter F. Drucker, The ecological Visions, Reflections on the American Conditions, ebenda, S. 454
  13. Wolf Lepenies, Benimm und Erkenntnis, Frankfurt / Main 1997, S. 48
  14. Peter F. Drucker, The ecological Vision, ebenda, S. 456
  15. Dr. Peter Drucker, Friedrich Julius Stahl, Konservative Staatslehre und geschichtliche Entwicklung, Tübingen 1933, S. 28
  16. Peter F. Drucker, A functioning Society, ebenda, S. VII
  17. Peter F. Drucker, Brief an den Verfasser vom 22. März 2002
  18. Peter F. Drucker, The Future of Industrial Man, New Brunswick 1995 (Erstveröffentlichung 1942), S. 10
  19. Peter F. Drucker, The Next Society, New Brunswick 1993 (Erstveröffentlichung 1950), S. 151
  20. Ebenda, S. 155
  21. Peter F. Drucker, The ecological Vision, ebenda, S. 449
  22. Ebenda, S. 444f., siehe auch Peter F. Drucker, Innovation and Entrepreneurship, New York 1985, S. 213f.
  23. Peter F. Drucker, Management: Tasks, Responsibilities, Practices, ebenda, S. 40
  24. Ebenda, S. 42
  25. Ebenda, S. 319
  26. Ebenda, S. 343
  27. Ebenda, S. 43
  28. Ebenda, S. 367
  29. Ebenda, S. 369
  30. Ebenda, S. 370
  31. Peter F. Drucker, The ecological Vision, ebenda, S. 204f.
  32. Peter F. Drucker, Management: Tasks, Responsibilities, Practices, ebenda, S. 374
  33. Ebenda, S. 375
  34. Peter F. Drucker, The Future of Industrial Man, ebenda, S. 190
  35. Peter F. Drucker, Fax an den Verfasser vom 14.03.2003
  36. Peter F. Drucker, The age of transformation, in The Atlantic Monthly, November 1994, S. 54
  37. Ebenda, S. 54
  38. Ebenda, S. 80
  39. Peter F. Drucker, The age of discontinuity, New Brunswick 1992, S. 233 (Erstveröffentlichung 1969)
  40. Peter F. Drucker, A Crisis of Capitalism, in The Wall Street Journal, Sept. 30, 1986
  41. Peter F. Drucker, Managing in the next Society, Oxford 2002, S. 149f.
  42. Peter F.Drucker, Management: Tasks, Responsibilities, Practices, ebenda, S. 362
  43. Ebenda, S. 363
  44. Ebenda, S. 364
  45. Peter F. Drucker, The Age of discontinuity, ebenda, S. 356
  46. Rakesch Khurana, From higher aims to hired hands, Princeton 2007, S. 382
  47. Peter F. Drucker, The New Realities, Oxford 1989, S. 223
  48. Rakesh Khurana, From higher aims to hired hands, ebenda, S. 383, siehe auch Rakesh Khurana and Nitin Nohria, It’s time to make Management a true Profession, in Harvard Business Review, Okt. 2008, S. 70-80