Besser brainstormen

HBM August 2018

Vor 20 Jah­ren habe ich in ei­nem mei­ner MBA-Kur­se er­lebt, wie zäh Brain­stor­ming sein kann. Wir spra­chen über ein weit­ver­brei­te­tes Pro­blem: Wie lässt sich in ei­nem von Män­nern do­mi­nier­ten Um­feld eine Kul­tur der Gleich­be­rech­ti­gung her­stel­len? Das The­ma lag den Stu­die­ren­den am Her­zen, aber sie konn­ten par­tout kei­ne Ide­en ent­wi­ckeln, mit de­nen sie auch nur an­nä­hernd zu­frie­den wa­ren. Nach ewi­gem Hin- und Her­dis­ku­tie­ren ging die Ener­gie der Grup­pe ge­gen null. Ich warf einen Blick auf die Uhr und sag­te, wir müss­ten doch we­nigs­tens noch einen An­knüp­fungs­punkt für das nächs­te Tref­fen hin­be­kom­men. Ich im­pro­vi­sier­te und sag­te: „Jetzt lasst uns mal für heu­te nicht mehr über Ant­wor­ten nach­den­ken, son­dern nur noch ein paar neue Fra­gen ent­wi­ckeln, die wir uns in die­sem Zu­sam­men­hang stel­len könn­ten. Da­von tra­gen wir jetzt, in der Zeit, die uns noch ge­mein­sam bleibt, so vie­le zu­sam­men wie mög­lich.“
Pflicht­be­wusst fin­gen die Stu­die­ren­den an, Fra­gen zu for­mu­lie­ren. Ich schrieb sie alle an die Ta­fel und er­in­ner­te je­den an die Auf­ga­ben­stel­lung, der schon wie­der ver­such­te, Ant­wor­ten dar­auf zu ge­ben. Sehr zu mei­ner Über­ra­schung war schnell wie­der Le­ben im Raum. Am Ende der Sit­zung re­de­ten die Stu­die­ren­den noch beim Hin­aus­ge­hen an­ge­regt über ei­ni­ge der Fra­gen, die sie ge­ra­de ent­wi­ckelt hat­ten – die­je­ni­gen, die ei­ni­ge der Grun­d­an­nah­men hin­ter­frag­ten, von de­nen wir zu­vor im­mer aus­ge­gan­gen wa­ren. Zum Bei­spiel: Gab es Ent­wick­lun­gen an der Ba­sis, die wir un­ter­stüt­zen könn­ten, statt von oben her­ab Re­geln vor­zu­ge­ben? Und: Was kön­nen wir von Be­rei­chen in­ner­halb un­se­rer ei­ge­nen Or­ga­ni­sa­ti­on ler­nen, die be­reits Gleich­be­rech­ti­gung er­reicht hat­ten, statt au­to­ma­tisch au­ßer­halb des Un­ter­neh­mens nach Best Prac­ti­ces zu su­chen? Mit ei­nem Mal gab es viel mehr zu dis­ku­tie­ren, denn wir hat­ten un­er­war­te­te mög­li­che Lö­sungs­we­ge auf­ge­zeigt.
Fra­gen statt Ant­wor­ten in den Mit­tel­punkt des Brain­stor­mings zu stel­len hat­te ich zu­vor noch nie aus­pro­biert. Es fiel mir in je­nem Mo­ment spon­tan ein – ver­mut­lich, weil ich mich kurz zu­vor mit den frü­hen For­schungs­ar­bei­ten des So­zio­lo­gen Par­ker Pal­mer zu krea­ti­ver Ent­de­ckung durch of­fe­ne, ehr­li­che Fra­gen be­schäf­tigt hat­te. Doch die Me­tho­de funk­tio­nier­te bei den Stu­die­ren­den so gut, dass ich an­fing, auch bei Be­ra­tungs­man­da­ten da­mit zu ex­pe­ri­men­tie­ren. So hat sich ein An­satz ent­wi­ckelt, den ich bis heu­te kon­ti­nu­ier­lich op­ti­mie­re. Ich habe ihn in­zwi­schen in der Ar­beit mit Hun­der­ten von Kun­den an­ge­wen­det, dar­un­ter auch glo­ba­le Teams bei Cha­nel, Da­no­ne, Dis­ney, EY, Fi­de­li­ty, Genen­tech, Sa­les­for­ce und Dut­zen­den von an­de­ren Un­ter­neh­men, Non-Pro­fit-Or­ga­ni­sa­tio­nen und Ma­na­gern, die ich ge­coacht habe. Grund­la­ge des Gan­zen ist die Er­kennt­nis, dass fri­sche Fra­gen oft neue, ja so­gar trans­for­ma­ti­ve Er­kennt­nis­se zu­ta­ge för­dern. Das ver­deut­lich ein Bei­spiel aus der Psy­cho­lo­gie: Vor 1998 kon­zen­trier­ten sich prak­tisch alle gut aus­ge­bil­de­ten Psy­cho­lo­gen dar­auf, die Ur­sa­chen von see­li­schen Er­kran­kun­gen und De­fi­zi­ten an­zu­ge­hen – in der An­nah­me, dass Ge­sund­heit letzt­lich das Feh­len die­ser ne­ga­ti­ven Um­stän­de sei. Doch dann wur­de Mar­tin Se­lig­man Prä­si­dent der Ame­ri­can Psy­cho­lo­gi­cal As­so­cia­ti­on (APA) und lie­fer­te sei­nen Kol­le­gen einen neu­en Denk­an­satz. In ei­ner Rede bei der Jah­res­haupt­ver­samm­lung der APA frag­te er: Was, wenn die see­li­sche Ge­sund­heit eben­so sehr vom Vor­han­den­sein po­si­ti­ver Um­stän­de ab­hängt – Schlüs­sel­fak­to­ren, die sich er­ken­nen, mes­sen und kul­ti­vie­ren las­sen? Die­se Fra­ge leg­te den Grund­stein für die po­si­ti­ve Psy­cho­lo­gie.
Jetzt kaufen
© Harvard Business Manager
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der manager magazin Verlagsgesellschaft mbH
Inhalt

Abbildungen und Diagramme

Bilder:
6
Infografiken:
0

Textumfang

Seiten:
10
Zeichen:
37.956
Nachdrucknummer:
201808018
Nachdrucke
Nachdrucke in Medien aller Art
Seitenpreise ab 360 Euro je nach Auflage

Nutzungsrechte im PDF-Format
Ohne Fotos und Illustrationen. Für die Verwendung bei betriebsinternen Fortbildungen, Kundenbroschüren, im Intranet und firmeninternen Pressespiegel: Preisberechnung pro Exemplar beziehungsweise pro Nutzer je nach Auflage.

Sonderdrucke
Möglich ab 500 Exemplaren, Preise auf Anfrage.
Ein Beispiel finden Sie hier.

Nachdrucke von Illustrationen
© Harvard Business Manager: Preise auf Anfrage

Alle Preise verstehen sich zuzüglich Mehrwertsteuer und gegebenenfalls Versandkosten.

Für Artikel mit Copyrightvermerk "Harvard Business School Publishing" gelten besondere urheberrechtliche Bedingungen, die wir Ihnen auf Anfrage gern erläutern.
Hier können Sie nach den Lizenz-Bedingungen fragen.

Alle Themen
Nach oben